Sunset Brahmasthan of India

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Leseprobe aus: Suche im Ring des Wissens

Suche im Ring des Wissens

Suche im Ring des Wissens – Roman, magischer Realismus

von Jan Müller

Auf der Suche nach seinem gekidnappten Halbbruder reist Danni in den „Ring des Wissens“, ein geheimes Sperrgebiet, das die vedische Mandalastruktur zwischen Manifest und Unmani- fest widerspiegelt. Dabei gerät er zwischen die Fronten eines Geheimrings, der die Ringformel kennt, mit der man alles mathemagisch verschwinden und erscheinen lassen kann. Die eine Partei huldigt dem Dunkeldrachen und will die Menschheit ausrotten, damit der Schädling Homo sapiens nicht auf andere Planeten überspringt. Die andere Partei will dem Menschen helfen, seine angeborenen Erbanlagen zu entfalten, damit er wieder im Einklang mit Mutter Erde lebt und aufhört, ein Schädling zu sein. 
EUR 8,95 342 Seiten, Taschenbuch 15,24 x 22,86 cm, ISBN 978-3945004180 Blick ins Buch und kaufen.





1. Der mathemagische Trommelklang

»Mathematicitamehtam ... mathematìci tàmehtam …« Es war das erste Mal, dass sich der mathemagische Trommelklang verselbständigte und Danni den Rhythmus hören konnte. Die Mundstellungen der Totenkopf-Geheimschrift im Schädelring auf der Titelseite trommelten und summten in seinem Kopf, während er die seltsamen Lautzeichen betrachtete. Als ob die Zeichen vor seinen Augen tanzten, dachte er. Es war ein archaischer Klang, ein uralter Rhythmus, der ihn Staunen und in aller Stille lauschen ließ. Er hörte den fremden Klang und spürte, wie er hinweggetragen wurde.
Der rhythmische Klang schwoll an, wurde lauter, übertönte die Stimme des Mathelehrers. Das Klassenzimmer samt Buchstaben, Ziffern und Bruchstrichen verblasste, das Trommeln wurde zum Sprechgesang, zu einer Beschwörungsformel, die ihn schwindelig machte und wie ein Strudel in den Schädelring hineinsog. Er wollte sich losreißen, ins Mathebuch schauen, aber es war nicht möglich. Er saß nicht mehr im Klassenzimmer in der Mathestunde, las nicht mehr heimlich unter der Bank das Manuskript seines Onkels, sondern sah einen Film wie im Kino. Was hatte der mathemagische Trommelklang nur mit ihm gemacht? War das Trommeln eine Zauberformel?
Über einer mächtigen Trauerweide brauten sich dunkle Wolken zusammen. Danni roch feuchte Erde, kühler Wind wehte ihm um die Nase. Dunkler wurden die Wolken. Blitze zuckten. Regen prasselte nieder. Ein schmächtiger Junge mit schwarzem Haar blickte ängstlich zum donnergrollenden Himmel und lief auf die Weide zu.
Mit lautem Knall schlug ein Blitz in die Weide und spaltete ihren Stamm. Kreidebleich floh der Junge an den Waldrand, verschnaufte, schaute zurück. Danni schätzte ihn auf zwölf oder dreizehn Jahre, etwa in seinem Alter.
Rotgelbe Zungen loderten aus der brennenden Weide. Die Rauch6
schwaden formten am Himmel einen riesigen Kopf, der mit glühenden Augen den Waldrand absuchte. Aus dem Geäst erscholl ein Krähenruf: »Kaaf! Kaaf! Kaaf!«
Danni erlebte alles wie ein heimlicher Beobachter. Im Hinterkopf wusste er, dass er in der Mathestunde saß und jederzeit vom Lehrer aufgerufen werden konnte, aber es gelang ihm nicht, die Welt der Geschichte zu verlassen. Wie im Film verfolgte er, wie der Junge in den Wald floh bis zu einer Eiche mit mächtigem Stamm, in dem ein breiter Riss klaffte. Der Junge zwängte sich durch den Spalt und verbarg sich im hohlen Stamm.
Eine Weile strich der schwarze Rauchkopf suchend über die Bäume, dann löste er sich in Luft auf. Der Junge verharrte reglos, bis die Luft rein war. Eben wollte er sein Versteck verlassen, da stolperte er über etwas Hartes. Er scharrte das Laub beiseite und entdeckte einen eisernen Ring. Als er daran zog, öffnete sich eine Falltür aus roh behauenen Brettern. Danni roch modrigen Erdgeruch.
Ein Balken mit eingekerbten Stufen führte hinunter in einen Schacht. Der Junge stieg hinein. Aus der Decke des Schachtes ragte ein Wurzelende, daran hing eine brennende Öllampe und tauchte den Schacht in braungelbes Licht. Der Junge schaute sich nach allen Seiten um und lauschte in die Stille, Dann nahm er die Öllampe ab und schlich damit auf Zehenspitzen vorwärts.
Der Schacht mündete in eine Höhle. An den Wänden hingen Schrumpfköpfe neben Schwertern und Äxten. Auf staubbedeckten Kommoden standen Totenschädel mit glühenden Kohlenaugen, die ihn mit ihren Blicken verfolgten. Vom Höhlenende drang ein bläuliches Leuchten. Der Junge ging darauf zu.
Aus einer Ecke kam in Kichern. Der Junge erstarrte. »Hallo?« raunte er und lauschte. Keine Antwort. Alles blieb still. Auf Zehenspitzen näherte er sich dem bläulichen Licht, das aus einem gläsernen, von Spinnweben überwobenen Schrein kam. Ein offenes Schmuckkästchen stand darin, gefüttert mit tiefblauem Samt. Über dem Samtkissen schwebte kreisend ein Armreif aus Perlmuttblättchen. Darauf leuchteten bläuliche Zeichen mit flimmernden Punkten, die Danni bekannt vorkamen.
ring in mundschriftMit großen Augen betrachtete der Junge die flammende Schrift, da murmelte eine sanfte Stimme: »Einen guten Riecher hast du, junger Freund. Das Kostbarste der ganzen Höhle hast du aufgestöbert.«
Der Junge fuhr herum. Keine Armlänge entfernt lächelten ihn zwei Augen an, über denen sich buschige Brauen wölbten. Darunter schmale, zum Lächeln verzogene Lippen, aber weder Kopf noch Körper waren zu sehen. Eine grünliche Knochenhand erschien aus dem Nichts, deutete auf den Kamin neben dem Glasschrein und schnipste mit den Fingern. Flammen flackerten auf. »Wärm dich am Kamin, Theo. Du zitterst ja am ganzen Leib.«
Theo zuckte zusammen: »Woher kennen Sie meinen Namen?«
Während er sich dem Feuer näherte, ließ er das seltsame Wesen nicht aus den Augen. Dieses sprach beruhigend auf ihn ein: »Keine Angst, Theo. Bei mir bist du sicher. Hier findet dich niemand.«
»Aber er hat mich verfolgt.«
»Wer, wann, wo?«
»Vorhin, als der Blitz in die Weide fuhr. Der Rauch stieg zum Himmel und formte einen Kopf. Der hat mich gesucht – mit rot umränderten Augen.«
»Bist du sicher? Oder ist dein schlechtes Gewissen mit dir durchgebrannt?«
»Ich hab’s genau gesehen. Er hat nach mir gesucht.«
»Hm!« Die Augenbrauen im unsichtbaren Gesicht zogen sich zusammen, die Mundwinkel zeigten nach unten. »Warum sollte der Rauchkopf dich suchen?«
»Ich will abhauen. In den Osten.«
»Und warum?«
»Ich halt’s hier nicht mehr aus. Essen, trinken, Wasser, Luft, alles ›naturverbessert‹. Wie soll man da noch atmen!«
»Na, na, na! Spricht man so vom Tammat-Hemer Duft?«
»Duft? Der stinkt doch zum Himmel, dass die Kühe husten. Ich kann’s nicht mehr riechen. Ich ersticke.«
Theo griff sich an die Kehle, als bekäme er keine Luft und würde erwürgt.
»Du riechst es? Mit der Nase?«
»Wie denn sonst? Etwa mit den Füßen? Es beißt und ätzt in der Nase, es kratzt im Hals, meine Schleimhäute brennen. Ich komm mir vor, als wäre ich aus Kunststoff.«
»Hmmm … Und du meinst, im Osten ist es besser? Das Reich des Geistes ist noch viel gefährlicher. Im Inneren Gebirge gibt es tausend Stollen, Schluchten, Abgründe. Die meisten verirren sich und finden nie wieder raus. Und auf Schritt und Tritt versperren dir Schwellhüter den Weg. Ein Grünschnabel wie du ist im Osten völlig aufgeschmissen.«
Theo rieb sich die Hände über dem Feuer, sah in die flackernden Flammen und schwieg. Dann schaute er sich fragend um: »Ist hier nicht irgendwo ein unbewachter Übergang?«
»Unbewacht?« Ein meckerndes Lachen erklang. »Die Grenze wird von Hemmas bewacht. Wehe dir, du nennst ein falsches Passwort!«
Theos Augen tasteten die Höhlenwände ab. »Diese Höhle hat doch einen Hinterausgang, oder?«
»Wie kommst du darauf?«
»War hier nicht mal ein Grenzübergang?«
»Ja, anno dazumal. Aber der ist längst verschüttet.« Sein Gegenüber musterte ihn scharf. Die Augen flackerten kurz auf. »Wenn du auf Teufel komm raus nach drüben willst, wüsste ich eine Lösung.«
»Und zwar?«
Das Lächeln kam näher, wurde leiser. »Kannst du schweigen?«
Theo nickte.
Die grünliche Knochenhand griff durch die Spinnweben in den Glasschrein, holte das Schmuckkästchen mit dem Armreif heraus und stellte es auf die staubbedeckte Theke. »Dieser Ring ist dein Dietrich zum Reich des Geistes. Sobald du auf einen Hemma triffst, verraten dir die Schriftzeichen das Passwort.«
»Ein Passwort für alle Hemmas?«
»Unsinn. Für jeden Schwellhüter das passende.«
»Aber die Schriftzeichen stehen doch fest. Wie soll das gehen?«
»Siehst du wie die Zeichen flackern und flimmern? Sie verändern sich laufend und verraten dir jeweils das richtige Wort. Dieser Ring ist ein lebender Mund. Ein Sprachrohr für die Botschaft des Augenblicks. Die Mundschrift erzeugt in deinem Kopf den Klang.«
Theos Augen blitzten. »Kann ich ihn haben?«
Er wollte danach greifen, aber die Knochenhand kam ihm zuvor. »Klar. Du musst ihn nur bezahlen.«
»Aber ich habe kein Geld.«
»Bekommst du kein Taschengeld von deinem Vater?«
»Ich habe keinen. Und von den fremden Onkels will ich nichts.«
»Oho! Und deine Mutter?«
»Sie sagt, für Spielzeug gibt's kein Geld. Weil sie für jede Blüte voller Nullen Stunden an der Walze stehen muss.«
»Walze?«
»In der Druckerei der Notenbank.«
»Ohooo!« Die Knochenhand rieb nachdenklich an einem unsichtbaren Kinn. »Dann gibt’s nur eines: Du bezahlst mit Fantasiegeld.«
»Echt? Das geht? Was muss ich tun?«
»Wir spielen Kaufladen und feilschen um den Preis, als wäre es bitterer Ernst. Dann schreibst du den Betrag auf ein Blatt der Fantas-Eiche, setzt deine Unterschrift darunter und der Ring ist dein.«
»Geritzt! Was soll er kosten?«
Bei dem Wort »geritzt« flackerten die Augen des Verkäufers für einen Augenblick wie rot umrändert auf.
»Nun ja …« Die Knochenfinger trommelten aufs Pult, die Pupillen rutschten nach links außen. »Dieser Ring ist über zehn Milliarden Fantas wert. Abzüglich zwei Prozent Skonto für Barzahlung kostet er genau …« Der Zeigefinger kratzte zehn Ziffern in den Staub der Theke: »9 876 543 210 FAN.«
»So viel? Dafür müsste meine Mutter lebenslänglich an der Walze stehen.«
»Ach was! Eine Banknote in diesem Wert ist genauso schnell gedruckt wie jede andere.« Das Lächeln wurde breit. »Es wäre allerdings die wertvollste Note der Welt, denn auf Banknoten darf jede Ziffer bekanntlich nur einmal stehen. Nur die Null darf alle anderen ersetzen.« Der knöcherne Zeigefinger zog um die Ziffern einen Rand und tippte jede einzeln an. »Bei zehn möglichen Ziffern ist der höchste Wert also ein Milliardenbetrag mit der größten Ziffer vorn.«
»Die wertvollste Banknote der Welt?« Theo überlegte kurz, dann fragte er. »Und wie erschafft man Kleingeld in der Fantasie?«
»Genau wie Großgeld, nur mit Komma davor.«
Hinter Theos Stirn rasselte der Rechner. Mit dem Handrücken wischte er die Ziffern von der Theke, malte mit dem Zeigefinger ein neues Kästchen in den Staub und schrieb hinein: 0,000 000 001. »Ich biete also ein Milliardstel Fantas.«
Das Lächeln wurde breiter. »Wunderbar, mein Sohn, du machst mir Freude. Haarscharf kalkuliert!« Die Knochenhände rieben sich genüsslich aneinander. »Aber dem Wert des Ringes wirst du damit leider nicht gerecht. Du stehst hier vor dem mächtigsten Zauberring aller Zeiten, dem Ring des Wissens mit dem uralten Vermächtnis von Atlantis. Die Ringformel beschreibt den Kreislauf des Universums: Wie aus Einheit die Vielfalt, aus dem Uni das Versum entsteht. Damit kannst du jedes Ding erscheinen und verschwinden lassen.«
»Bombastisch!« Theos Miene verriet nicht, ob das bewundernd oder spöttisch gemeint war. »Also gut, ich biete genau die Mitte zwischen der größten und der kleinsten Summe: einen Fantas.«
Das Lächeln wiegte sich hin und her, senkte die Stimme zum Flüsterton. »Lass dich nicht lumpen, Junge! Du kannst so viele Banknoten beschriften, wie du Blätter an der Fantas-Eiche hast. In der Fantasie ist jeder Milliardär. Ich dagegen darf pro Gegenstand nur eine Banknote verlangen.«
In diesen Worten lag so viel Nachdruck, als sei das Feilschen um Fantasiegeld blutiger Ernst.
»Gut und schön. Aber wer sagt mir, ob das alles stimmt?«
»Also gut. Pass auf! Ich zeig dir jetzt, wie aus der Ringformel die Form entsteht.« Das Lächeln ergriff den Ring, rief »Màti« und schlug ihn hart auf die Kante, bis ein Stück herausbrach und hinter die Theke fiel.
Theo erschrak. »Oh, shit! Jetzt ist er kaputt!«
»Keine Bange, dieser Ring ist unzerstörbar. Du kannst ihn zerbrechen, so oft du willst. Schau dir das Bruchstück an! Aber Vorsicht! Nicht berühren!«
Theo trat um die Theke und wäre fast gestolpert: In Kniehöhe über dem Boden schwebte ein bläulich schimmernder Säbel mit hauchdünner Klinge.
»Da staunst du, was?« rief das Lächeln. »Das ist Màti, die schärfste Klinge der Welt. Bloß nicht berühren! Das darf nur der Ringbesitzer.«
Theo streckte abwehrend die Hand aus, aber der Säbel schien ein Eigenleben zu entfalten. Ehe Theo den Arm zurückziehen konnte, schmiegte sich der Griff zutraulich in seine Hand. Eine innere Kraft schien ihn zu lenken. Theo genoss sichtlich diesen Augenblick. Aufrecht wie ein Herrscher mit seinem Zepter stand er da, mit klarem, furchtlosem Blick, wie ein Krieger im Zweikampf.
»He! Was soll das? Lass den Säbel los!« Die Brauen des Lächelns stießen an der Nasenwurzel wie Pfeile zusammen. »Schnell! Drück Màti zurück in den Ring!«
Die Knochenhand hielt Theo den Ring entgegen, aber Theo rührte sich nicht. Felsenfest stand er da und sah dem Lächeln selbstbewusst in die Augen. Seine Hand umklammerte Màti wie einen Rettungsring. Von der magischen Klinge schien eine ungeahnte Kraft und Klarheit in ihn zu strömen.
Da erklang vom Höhleneingang das Schnauben eines Pferdes. Theo schaute zum Eingang hinüber. Der Säbel entglitt seiner Hand. Die Knochenhand hielt den Ring an die Klinge, die wieder nahtlos mit dem Ring verschmolz. Theo sah auf den Ring und prägte sich die Zeichen ein, die an dieser Stelle leuchteten:

MATIAuch Danni sah die Zeichen jetzt vor sich. Plötzlich wusste er, woher er sie kannte: Diese Zeichen hatten im Schädelring die Mundstellung verdeutlicht. Diese vier Buchstaben hießen also »Màti«. Eigentlich leicht zu merken: Der offene Mund war das A.
Am Höhleneingang knarrten Schritte. Auf dem Stufenbalken erschienen schwarze Stiefel mit Sporen. Das Lächeln riss einen Wandschrank auf. »Schnell hier rein, Theo! Und keinen Mucks! Hast du etwa die Falltür offen gelassen?«
Theo nickte schuldbewusst und huschte ins Dunkle. Danni sah den Schrank jetzt von innen. Der Schrankschlüssel wurde umgedreht und abgezogen. Theo war in einem Kleiderschrank, der modrig roch. Er tastete um sich, befühlte die Kleider und Kittel, die neben ihm hingen. Die Rückwand aus Holz hatte Ritzen, aus denen ein kühler Luftzug kam. In der Schranktür leuchtete das Schlüsselloch als Lichtfleck. Theo bückte sich und spähte durchs Schlüsselloch. Vom schwarzen Rand des Schlüssellochs umgeben sah Danni die Höhle.
Mit Stelzenschritt stapfte eine dunkle, baumlange Gestalt auf die Theke zu. Schwarzer Samtmantel mit hohem Stehkragen, darunter Reitstiefel, darüber ein tief in die Stirn gezogener Dreispitz.
Das Lächeln verbeugte sich tief. »Welche Ehre, Euro Exzellenz! Womit kann ich dienen?«
Aus dem Dunkel zwischen Kragen und Dreispitz hauchte es heiser: »Den Ring!«
»Welchen Ring?«
»Den Großen.«
»Den mit der Ringformel?«
Danni hörte Theos Herz klopfen, der Atem stockte ihm.
»Das ehrt mich sehr, Euro Exzellenz, aber der ist bereits reserviert. Ein junger Käufer hat zur Zeit das Vorkaufsrecht.«
»Hier!«
Eine schwarz behandschuhte Hand ließ ein großes, silbern glänzendes Eichenblatt auf die Theke flattern. Das Lächeln betrachtete bestürzt das Blatt. »Neun Milliarden, achthundertsechsundsiebzig Millionen, fünfhundertdreiundvierzig Tausend, zweihundert und zehn Fantas … Woher wissen Euro Exzellenz den Preis?«
Zwei Finger im schwarzen Handschuh wiesen nach oben.
»Oh, Euro Exzellenz kommen im Auftrag seiner Dunkelgrauen Eminenz?« Das Lächeln wand sich und druckste herum. »Exzellenz müssen entschuldigen, aber wenn ich das Vorkaufsrecht missachte, verliere ich meine Lizenz. Ich bitte Euro Exzellenz untertänigst, sich noch eine halbe Stunde zu gedulden. Vielleicht vermag ich den Käufer umzustimmen und den Ring noch einmal loszueisen.«
Theo wurde schwindelig. Sollte ihm dieser Rettungsring im letzten Moment durch die Lappen gehen? Er verlor das Gleichgewicht und rumste gegen die Schranktür. Der Reiter horchte auf, sein Dreispitz drehte sich über dem Kragen langsam nach links und rechts, dann schritt er direkt auf die Schranktür zu.
Ein Zischen war zu hören, dann der unterdrückte Ausruf: »Oh! Euro Exzellenz verfolgen einen Ausreißer!« Eine Zeitlang wurde es dunkel vor der Tür, der Reiter schien direkt davor zu stehen. Die dumpfen Geräusche ließen vermuten, dass das Lächeln alles Mögliche unternahm, um den Reiter von der Schranktür abzulenken.
Als wieder Licht durch das Schlüsselloch drang, stand der Reiter an der Theke, steckte das Eichenblatt fauchend wieder ein, drehte sich auf dem Absatz um und schritt zum Ausgang. Dort ballte er die Hand zur Faust und verschwand.
Nach einer Weile klirrte der Schlüssel im Schloss und die Schranktür ging auf.
»Du musst schleunigst verschwinden«, kam es im Flüsterton. »Der Reiter hat Verdacht geschöpft. Wenn er zurückkommt und dich sieht, komme ich in Teufels Küche. Hast du dich entschieden? Nicht auszudenken, wenn seine Dunkelgraue Eminenz den Ring bekäme.«
»Also gut. Fantasiegeld hab ich ja genug.«
»Handschlag, und der Kauf ist besiegelt!«
Die Knochenfinger ergriffen Theos Hand. Während er einschlug, geschahen mehrere Dinge gleichzeitig: Die Wurzelspitzen an Decke und Wänden, an denen die Öllampen hingen, ringelten sich, dass die Lampen erzitterten und das Licht der ganzen Höhle flackerte. Die Schrumpfköpfe blähten ihre Nasenflügel, schnupperten zur Ladentheke und öffneten ihren Mund wie zum Schrei.
Eine kühle, nach Laub und Pilzen riechende Brise wehte ein Eichenblatt herein, fegte den Staub von der Theke und legte das Blatt darauf. Aus einem leeren Tintenfass flog eine Gänsefeder und schmiegte sich schreibfertig in Theos Hand. Von einem Spinnrad sprang eine Spindel herbei und stach Theo in die Fingerspitze, aus der drei Blutstropfen die Feder tränkten.
Theo riss die Hand zurück. »Was soll der Spuk?«
Das Lächeln zog sich breit von einem unsichtbaren Ohr zum anderen. »Waren wir uns nicht einig? Schreib einfach die Zahl aufs Blatt und unterschreibe.«
»Soll ich etwa mit Blut unterschreiben? Niemals!«

Wie aus dem Nichts erscholl plötzlich Klingeln und lautes Gejohle. Jemand packte Danni am Arm und zerrte ihn aus der Höhle. Er sah hellgrüne Vorhänge und saß wieder im stickigen Klassenzimmer.
Oje! Hatte ihn der Mathelehrer etwa aufgerufen? Lachten ihn jetzt alle aus? Wurde er wieder zum Gespött der Klasse?


Ende der Leseprobe

Inhalt

Teil 1

1. Der mathemagische Trommelklang  
2. Der Rutsch durch die Liegende Acht   
3. Das Superkind   
4. Komplikationen   
5. Belgische Bahnfahrt   
6. Der Duft von Tammat-Hêmat   
7. Der Streit um das Anfangswort   
8. Der Blitz im Löwenmaul   
9. Spuk im Nachtwald   

Teil 2

10. Ankunft in Màthema-Àttic   
11. Im Attic   
12. Gedankenfilm
13. Er-Innerung   
14. Das Souvenier des Haarspalters   
15. Am Ick-Eck   
16. Im Bauch des Drachen  
17. Die Stätte der Gestaltung
18. Die Meht-Amma

Teil 3

19. Im Sumpf belauscht
20. Mâ und Âma
21. Amt am Tam
22. Kosellke
23. Der Lesering der Ringleser
24. Bei Monsieur Mart
25. Sidhartas Klangteppich
26. Also dann …
27. Onkel, wo gehst du hin?   

Anhang

Textstellen in Ringsprache
Lautwandel im Ring
Dimensionsticket zum Ring des Wissens
Danksagung
Blick ins Buch und kaufen.

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