Sunset Brahmasthan of India

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Leseprobe aus: Der Kreis der Augenblicke

kreis der augenblicke

Der Kreis der Augenblicke: Gedichte und Kurzprosa

Im Herbst 1970 hörte ich von einem Wesen, das beim Ausatmen durch seinen Odem die ganze Schöpfung erschafft. Atmet es ein, geht die Schöpfung wieder in ihm auf. Dieses Bild traf mich wie ein Blitz. Wie fühlt sich wohl ein Wesen, das in einem einzigen Atemzug die gesamte Schöpfung entstehen und vergehen lassen kann? Und wie fühlen sich die Geschöpfe, die es mit seinem Atem erschafft und beim Einatmen wieder einsaugt? Diesen ewigen Kreislauf zwischen Individuum und Verschmelzen mit der Allseele, den jedes Geschöpf, jedes Teilchen, jede Galaxie als Lebensspanne durchläuft, wollte ich gerne beschreiben.

Die Brücke der Worte / spannt sich von hier
in deutlich strahlendem Bogen / über die Orte
bis zu Dir, / und zurückgeflogen
kommt aus Deinem Herz zu mir / über diese Brücke
eine Wärme, die mich fängt, / sich um meine Schultern drängt
und im Glücke liebend meine Zunge lenkt.
Schon spüre ich, wie Deines Herzens Beben / mich füttert und aus meinem Munde spricht,
das Band von Dir zu mir füllt mich mit Leben, / dass mir die rauhe, harte Borke bricht.
EUR 8,95 304 Seiten, Taschenbuch 12,9 x 19,8 x 1,8 cm, ISBN 978-3945004142 Blick ins Buch und kaufen.
Zum Geleit
Im Herbst 1970 war ich auf einem internationalen Meditationskurs in Kössen, Österreich und hatte einige Stationen auf dem Weg zu meinem Ursprung bereits durchlaufen. Aber zu mehr als kurzen Momentaufnahmen meiner Reise nach innen war es nicht gekommen.
Fast fünf Jahrzehnte später finde ich endlich die Ruhe, die Stationen meiner Seelenreise zu einer bunten Perlenkette aufzureihen: Szenen aus dem Alltagsleben in kurzer Prosa, Träume in ihrer eigenen Rätselsprache, und Augenblicke, in denen die klassische Sicht der Welt zerbricht und neuen quantenlyrischen Innenwelten Raum gibt, in der dichten Sprache, in der Klang und Form genauso verschmelzen wie die kleine Seele mit dem großen Selbst.
Diese Blüenlese können Sie auf Wunsch der Reihe nach lesen oder wie ein Lesebuch an einem beliebigenmAugenblick aufschlagen. Um das Wiederfinden eines Textes zu erleichtern, sind die Anfangszeilen im Anhang alphabetisch aufgelistet.
Möge dieser „Kreis der Augenblicke“ Ihnen helfen, schlummernde Erinnerungen, Ahnungen und die Sehnsucht nach Selbsterkenntnis wieder lebendig zu machen.
Oebisfelde, im Dezember 2015
Jan Müller

I. Gedichte

1. Ich kann Dir heute nicht in Prosa schreiben.

Der Reim hat mich gepackt. Er zwickt und zwackt.
Warum sich also sträuben? Soll er bleiben.

Du weißt vielleicht: Ich habe eine Feder,
die mir vor Jahren in die Hände flog
und meine Finger sacht bald stet und steter
im Tanze bog und enger an sich zog.

Die Finger und die Feder, diese beiden,
vertrieben ihre Flitterwochen wild
mit Tänzen über Berge weißer Seiten
und lernten aus der Nähe in die weiten
vergessnen stillen Täler abzugleiten
und dort in kühlen Einsamkeiten mild
ganz eng sich anzuschmiegen und zu leiden.

Auf weiße Bläiter legte sich die Saat.
Die Keimung ließ nicht lange auf sich warten
und schoss wie Kraut und Rüben aus dem Garten.
Ich musste Unkraut jäten, rabiat,
was übrig blieb, war nur das Konzentrat.

Inzwischen habe ich genug Vertrauen,
Dir neben leichten, lockeren und lauen
Gedichten auch die dichteren zu zeigen,
die tiefer in den Grund der Seele steigen
und künden, wie ich starb, warum ich lebe,
warum ich nicht mehr so am Boden klebe
und heute mehr zu hellen Welten strebe.

Ich habe einige Gedichte ausgewählt,
aus denen die Geschichte sich erzählt,
wie ich den dichterischen Weg beschritt
und auf dem lichten Steg zum Himmel ritt.
Ich hoffe, sie gefallen Dir. Bis bald.
P.S.: Am Anfang war ich ziemlich alt.
Doch bald schon siehst du, wie die Feder sich verjüngt
und ihre Lieder jung und jünger singt.


2. Du denkst, ich schriebe dieses Lied für eine andre,
weil es in dieses Album eingereiht.
Bin ich ein Dieb, dass ich zu vielen wandre?
Noch keine hab ich darin eingeweiht.
Zwar hörten meine Stimme viele Frauen,
doch spürte ich zu keiner das Vertrauen,
dass ich ihr solche Worte sagen kann.
Sie würden lachen über einen Mann,
der ihre Seele zwar poetisch liebt,
doch ihrem Körper nie die Hände gibt.

Bei Dir jedoch empfind ich: Du lebst rein,
in hoher Liebe, und das lädt mich ein,
zu sehen, ob es möglich ist, auf Erden
mit einer zweiten Seele eins zu werden.

Aus Deinen Worten hallt ein Hauch herüber,
auf den ich lange Jahre wartete.
Ich sehnte mich nach einem Gegenüber,
das ganz nach meinem Blute artete.

Ich hatte dieses Sehnen längst vergessen.
Ich dachte nicht mehr, dass es möglich sei,
war ganz auf Ungebundenheit versessen
und fühlte mich alleine stolz und frei.

Doch kürzlich, als dein erster kleiner Brief,
in Blau gekleidet, blumig duftend rief,
nach einer unscheinbaren Kleinigkeit verlangend,
erlebte ich, mich wundernd, fragend, bangend,
mir ungewohnte, blühende Gedanken.
Der Stolz, die Strenge kamen mir ins Wanken,
weil unverhofft ein Ahnen in mir floss,
als wittere mein Pferd ein Flügelross.

Für dieses Flügelross ist dies geschrieben.
Kannst Du es reiten, können wir uns lieben
und nehmen gleich auf unsrem Wolkenritt
die ganze sehnsuchtsvolle Erde mit.


3. Deine Haare sind lang
und Dein Stöckelpfennigklang
spielt Flamenco auf dem Pflaster – das bist Du.
2.
Und am Kurfürstendamm
steht der Leierkastenmann
und er dudelt stummen Blicks sein Lied dazu.
3.
Und ich lehne glatzenkahl
schräg am Gaslaternenpfahl
und das Wagenknarren lässt mir keine Ruh.
4.
Und dann gehst Du voran
und ich humpel hintendran,
bis der Autolärm am Wiesensaum verhallt.
5.
Streifst die Stöckelschuhe ab,
und der Regen klatscht herab,
und gehst barfuß durch das nasse Gras zum Wald.
6.
Und ich humpel hinterher
und ich tu als wenn nix wär
und ich sehe Deinen Schatten grau im Mond.
7.
Und du bleibst vergessen stehn,
bis wir beide weitergehn,
einer langen, einer kurzen Schritts zu zweit.
8.
Und wir kommen an den Hain,
keiner fühlt sich mehr allein,
und der Kasten und das Pflaster und die Zeit
9.
sind vergessen und verhallt
hier im Moschusochsenwald,
wo die Milchkuh mit dem Auerochsen wohnt.
10.
Und vergessen ist der Stöckelpfennigschuh
und wir stehen barfuß rum – ich und Du.

50. Du hast mich erweckt
aus witterndem Schweigen.
Dir darf ich es zeigen,
was in mir steckt.

Du hast mich berührt
mit sehnlichem Duft,
der unhörbar ruft.
Das hab ich gespürt.

Und ältestes Ahnen
steigt wieder herauf
und bringt meine klingenden Bahnen in Lauf.


88. Rührtest Du mich zauberhaft,
wild bis zur Verblendung,
führst Du mich nun mild und sacht,
weise zur Vollendung.


89. Ein Wanderer in der Wildnis
bin ich – nirgends zu Haus –,
nur Dein Bildnis
leitet mich
aus der Wirrnis heraus.


98. Im Sit-Zen und
im Tan-Zen
verschmelzen wir zum
Gan-Zen.


II. Prosalyrik und Kurzprosa

204. In das goldene Klangmeer bin ich getaucht,
in den stillen, alles beseelenden Ton,
der im Herzen jedes Wesens wohnt,
wartend, bis sich das Wesen, laut wie es ist,
wieder der Stille besinnt,
dieser milden, anfangs unscheinbaren,
in matschverklebte Lumpen gekleideten Kraft,
die uns, im scheuen Augenblick des Innehaltens,
auf sich aufmerksam macht durch zärtliche Winke
und uns, sobald wir ihrer gewahr,
durch Nebengassen und Hinterhöfe,
durch Haus- und Wohnungstüren,
über Treppen und Kellergewölbe,
durch Tunnel und Schächte
in eine Wirklichkeit führt,
die auf keinem Stadtplan,
keiner Wanderkarte verzeichnet,
in das hellgrün gewölbte Tal,
dessen Mitte genässt,
und in diese Mitte sinken wir,
bis aus dem Wiesenkragen nur noch der Kopf ragt,
versinken im Erdreich,
bis wir die Wiese vergessen,
und im Inneren brodelts und gährts,
die Erde wird Blut und Organ,
wir wissen nicht oben noch unten,
fallen wir, schweben wir, steigen oder sinken,
und es heben sich strudelnde Wässer über und um uns,
das Ei, in dem wir gebrütet,
wird von tiefblauer Sintflut erfüllt,
bis es prall wird und bricht,
und erneut schaut unser Kopf durch eine Schale,
und erneut liegt ein Kragen um ihn,
aber da ist keine Welt,
wir atmen Luftlosigkeit,
weder Farbe ist sichtbar noch Form,
und doch ist kein Dunkel da,
es glitzert brillanten,
es tönen Fugen aus Glas,
es brechen Kristalle,
denn ausgeschlüpft ist das Küken,
das sich dünkte in einer Welt
mit sternenbesätem Gewölbe,
der Innenhaut jenes Eis,
das dem Menschen als All erscheint,
solange er sich dem eigenen Herzen entfremdet,
sich im achtfachen Purzelbaume aus seinem Herzen bäumt,
bis er sich schließlich,
vom Heimweh berührt,
wieder nach Hause biegt
und einkehrt ins eigene Herz,
wo er im Meere erwacht,
im dichten Klang seiner Liebe.


244. Sinnend sitze ich am Lagerfeuer,
sehe, wie der Wind die Glut anschürt.
So wie diese Glut empfindsam sein.
Bläst er, leuchte ich, und verglimme,
wenn der Wind mich lässt.
Seismograph – der Bleistift ist mein Pendel.
Pock! Der Wind durchfegt die Glut.
Ich bebe. Bläst er, leuchte ich,
und verglimme,
wenn der Wind mich lässt.
Ob ich sprühe, strahle
oder in mich selbst zusammensinke,
das bestimmt der Wind.
Allein der Wind.


256. Ich war ein dicker, roher, schwarzer Klumpen,
als mich ein scharfes Schleifen schreien ließ.
Da wurde meine Außenschicht gedrillt,
gefeilt, gerädelt und poliert
und eine Seite nach der anderen geglättet.
Durch Mark und Bein erschütterte der Schliff.

Und als ich, fast besinnungslos vor Schmerz,
zu Sinnen kam,
lag ich als Kronjuwel
in Gold gefasst.


285. Und ich falle durch den Blätterteig,
durch die vielen dünnen Schichten dessen,
was den Füßen eben noch
als Grund erschien,
als das Harte, Unumstößliche,
auf dem sie ruhten, sicher,
felsenfest.


297. Auf dem Weg
hab ich Steine gesammelt,
kostbare Stücke.
Noch bevor ich nach Hause kam,
warf ich sie weg.
Zeig ich doch am liebsten
leere Hände.


304. In den hellen Milchmondnächten
trinke ich den weichen Mond,
trinke ihn am liebsten
völlig
leer.

Ende der Leseprobe

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